BLICKPUNKT:FILM Interview mit Sabine de Mardt zum Start der BARBAREN

Am 23. Oktober startet mit „Barbaren“ die erste historische Netflix-Serie aus Deutschland. Blickpunkt:Film sprach mit Sabine de Mardt, Chefin von Gaumont Deutschland, über die Hintergründe der Produktion und die Pläne ihres Unternehmens auf dem deutschen Markt.

Sabine de  Mardt
Die langjährige Eyeworks-Geschäftsführerin  war von 2015 bis 2018 als Director Fiction und Film für Warner Bros ITVP Germany und Geschäftsführerin  der Cologne Film tätig. Zum 1. Juli 2018 wurde sie  Geschäftsführerin der neu gegründeten deutschen Tochtergesellschaft von Gaumont S.A.

Portrait Sabine de Mardt | Geschäftsführerin Gaumont GmbH
© Melanie Grande

Welche Dimension hat „Barbaren“? Ist es die größte, aufwendigste Produktion, die Sie bislang gemacht haben?

SABINE DE MARDT: Die „Barbaren“ waren in ihrer Komplexität schon besonders herausfordernd. Wenngleich ich zuvor auch Projekte mit höheren Budgets realisiert hatte, war diese Produktion für mich und alle Beteiligten in gewisser Weise Neuland. Darüber hinaus waren wir noch eine junge Firma, die strukturell am Anfang stand. Hinzu kam der hohe Zeitdruck auf die Entwicklung und Umsetzung, denn Netflix wollte das Programm sehr schnell on air haben. Und natürlich kämpft man bei einer Show dieser Größenordnung, die fast ausschließlich im Freien ohne Wetter-Cover gedreht wurde, immer mit Anspruch und der Realität der finanziellen Eckdaten.

„Babylon Berlin“ muss also nicht um den Titel teuerste deutsche Produktion fürchten?

SABINE DE MARDT: Sagen wir so, wir sind sicherlich budgetär entfernt verwandt. Sie ahnen, das Thema Budget wäre eine Top-Frage für unsere Netflix-Kollegen. Was man aber getrost sagen kann, ist, dass die „Barbaren“ das bisher aufwendigste deutsche Netflix-Original sind, das online geht.

Kann man Netflix als großen Ermöglicher, aber auch als anspruchsvollen, sehr fordernden Partner beschreiben?

SABINE DE MARDT: Absolut. Mit „Barbaren“ konnten wir eine Serie machen, wie es sie aus Deutschland heraus noch nicht gegeben hat: die Germanen im Jahr 9 nach Christus im Kampf gegen das scheinbar unbesiegbare Römische Reich. Das ist David gegen Goliath at its best und damit die erste deutsche „Sandalen-Serie“ (lacht). Im Übrigen gab es vorher schon einige Versuche, diese ikonografische Schlacht zu verfilmen, aber erst Netflix hat es ermöglicht, dieses opulente Thema als High-End-Serie zu realisieren. Sicher ist Netflix sehr anspruchsvoll, aber das sind wir ebenso.

Was war letztlich dafür ausschlaggebend, dass Sie mit Gaumont Deutschland diesen Stoff jetzt als erste ins Ziel gebracht haben?

SABINE DE MARDT: Wo zuvor Projekte vermutlich immer an der Finanzierung gescheitert sind, ist Netflix bereit, wenn nötig auch größere Budgets auszugeben. Das hat auch damit zu tun, dass Netflix mit seiner weltweiten Präsenz eine enorm starke internationale Vertriebspower besitzt, sodass die Serie in 190 Ländern gleichzeitig starten kann. Dabei hofft man ebenfalls auf einen internationalen Erfolg, denn nur dann kann ein Budget unserer Größenordnung recouped bzw. gerechtfertigt werden. Daher war klar, dass unsere „Barbaren“ so high-end produziert sein müssen, dass sie auch im internationalen Umfeld bestehen können.

Was bewirkt das? Wären Sie „Barbaren“ anders angegangen, wenn es primär um den deutschen Markt gegangen wäre?

SABINE DE MARDT: Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entstehungsgeschichte von „Barbaren“. Die Ursprungsidee der Autoren setzte erst 200 Jahre nach der Varus-Schlacht an, weil sie davon ausgingen, dass man das in Deutschland so ohnehin nicht finanzieren kann. Stimmte auch bis vor Kurzem. Das hat sich mittlerweile auch bei den anderen Sendern geändert. Zentral bei der Umsetzung ist das Gefühl der Authentizität. Die Magie solch einer historischen Serie entfaltet sich nämlich nur dann, wenn sie absolut authentisch wirkt, da nur so der Zuschauer in diese Welt eintauchen kann und emotional mit auf die Reise geht. Und weil die Zuschauer sehr selbstverständlich globale Serien schauen, werden sie auch immer anspruchsvoller. Wir bewegen uns in einem Genreumfeld von großen internationalen Historien-Serien, da ist High-End ganz normaler Standard. Das schafft man nur mit einem hervorragenden Team, unglaublichem Engagement und der Kunst des Weglassens (lacht). Denn das, was wir zeigen, muss super aussehen.

Hat „Barbaren“ das Zeug zum deutschen Game of Thrones“?

SABINE DE MARDT: Das kann man nicht vergleichen und damit meine ich nicht in erster Linie das Budget. „Game of Thrones“ spielt in einem viel größeren, dynastischen Kosmos, folgt verschiedenen Erzählperspektiven und hat damit einen anderen Erzählansatz. Entscheidend ist hier auch die Staffellänge. Wir haben nur sechs Folgen. Die sind natürlich ganz anders konzipiert. Wenn die Frage aber dahin geht, ob die „Barbaren“ eine absolute Lieblingsserie werden können, dann ja, unbedingt.

Natürlich kommt es in einer historischen Produktion dieses Ausmaßes stark auf Action, Spektakel, optische Reize und opulente Bilder an. Aber hier stimmt auch der inhaltliche Kern: Die Vereinigung der zerstrittenen Barbarenstämme, der Aufstand gegen eine Übermacht, mit Thusnelda eine Frau in einer Führungsrolle, mit Arminius jemand, der zum Verräter wird, weil er zu seinen Wurzeln zurückkehrt: Sind diese universellen Themen der Trumpf von „Barbaren“?

SABINE DE MARDT: Es ist immer die Emotionalität, die den Zuschauer bindet. Wie kann man an die Figuren andocken? Wir erzählen eine Freundschaftsgeschichte, drei Kindheits-Freunde, die auseinander gerissen wurden; den Identitätskonflikt von Arminius, der entwurzelt wurde und sich fragt, wo er hingehört. Eine komplexe innere Reise. Mit Thusnelda haben wir eine junge Frau, die sich gegen ihr restriktives Elternhaus emanzipiert und zur Kämpferin wird. Das ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte. Folkwin, als Underdog, kämpft um seine große Liebe und Anerkennung. Es geht also im Kern um Lebensthemen wie Identität, Emanzipation, Erwachsenwerden, Liebe, den Umgang mit Schicksalsschlägen usw., und das im Jahr 9 nach Christus verbunden mit einer großen Portion Action.

Jan Martin Scharf und Arne Nolting sind die Showrunner, Sie mit Andreas Bareiss und Rainer Marquass die Produzenten. Regie führten Barbara Eder und Steve St Leger. Wie bekommt man die vielen kreativen Köpfe unter einen Hut? Wer hatte letztlich am Set das Sagen?

SABINE DE MARDT: Eine Produktion dieser Größenordnung braucht viele kreative Köpfe, die als Team miteinander funktionieren. Die Autoren haben zunächst die Bücher geschrieben, unsere Showrunner Jan Martin Scharf und Arne Nolting waren dabei Headautoren und bildeten mit Andreas Heckmann, von dem die Grundidee stammt, ein Team. Wir Produzenten haben ebenfalls als Dreierteam diesen Prozess gemeinsam mit Netflix eng begleitet, wobei Rainer Marquass, der auch Head of Development bei uns ist, sich primär um die Buch-Entwicklung gekümmert hat. Mein Kollege Andreas Bareiss, der ja sehr erfahren in historischen Produktionen ist, war hands on am Set. Und auch ich war über große Teile des Drehs vor Ort. Die Showrunner haben dann im Schnitt und in der Postproduktion eine ganz zentrale Rolle gespielt, da das Editing die Möglichkeit bietet, die Serie noch einmal konzeptionell zu überprüfen und in gewisser Weise noch einmal „weiter zu schreiben“.

Die Regiezusammenstellung ist sehr interessant. Wie kam sie zustande?

SABINE DE MARDT: Wir mochten die Arbeiten von Barbara Eder sehr und fanden es spannend, mit ihr als Regisseurin das Martialische des im Kern sehr männlichen Schlachten-Genres aufzubrechen, mit dem Ziel, eine auf allen Ebenen besondere Serie zu machen. Ohne genau sezieren zu können, woran sich der so genannte weibliche Blick konkret festmacht, sind wir davon überzeugt, dass die Mischung emotional genau das Richtige ist.

Was gab für Steve St. Leger den Ausschlag?

SABINE DE MARDT: Die große Schlacht mit ihrem Action-Anteil war eine ganz besondere Herausforderung. Wir wollten diese Schlacht optimal umsetzen und haben daher jemanden gefragt, der entsprechende Erfahrung mitbringt. Und das war Steve St. Leger. Steve hatte viele Folgen „Vikings“ als Regisseur und zuvor als Action-Regisseur gedreht. Er hat eine unglaubliche Erfahrung und sehr effizient auf Schnitt gedreht, das war beeindruckend. Der Garant dafür, dass letztlich alles wie aus einem Guss ist, war unser Kameramann Christian Stangassinger, der als DOP für alle sechs Folgen verantwortlich war.

Die Trailer, die es vorab von „Barbaren“ zu sehen gab, hinterlassen den Eindruck, dass Sie den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen.

SABINE DE MARDT: Das Feedback darauf ist überwältigend. Gerade auch die internationalen Reaktionen sind sehr positiv. Viele finden es toll, dass die Römer bei uns Latein sprechen. Das macht die Serie sehr authentisch. Überhaupt kann man die Gewerke, die für dieses authentische Gefühl verantwortlich sind, nicht genug loben: unsere wunderbaren Schauspieler, Kamera, Szenenbild, Kostümbild, Maske und natürlich unsere Regisseure. Jetzt erwarten wir sehr gespannt den Start am 23.Oktober. Natürlich sind wir aufgeregt und wahnsinnig neugierig auf die Reaktionen. Wir bei Gaumont sind alle sehr stolz auf die Serie und auf alle, die darin involviert waren.

Wie soll es mit „Barbaren“ weiter gehen? Sie wären bestimmt bereit für eine Fortsetzung.

… das vollständige Interview lesen Sie bei:

Das BLICKPUNKT:FILM
Das Interview führte Frank Heine am 15. 10. 2020