Sabine de Mardt im Gespräch mit Blickpunkt:Film über die Produktionen von Gaumont Deutschland, Beharrlichkeit und das Beste zweier Welten.

Frank Heine / Blickpunkt:Film 30.11.2023

Am heutigen 30. November eröffnet die Gaumont-Produktion „Nichts was uns passiert“ den vierten Wettbewerbstag der Televisionale. Blickpunkt:Film sprach mit Geschäftsführerin Sabine de Mardt neben dem Start der Serien „Deutsches Haus“, „Die zweite Welle“ und „Die Wespe 3“ auch über diesen Film, weitere kommende Projekte und die Rolle der Firma im deutschen Markt.

Sabine de  Mardt (links) und Annette Hess am Set von „Deutsches Haus“
Foto (c) Krystof Wiktor

Sabine de Mardt und Annette Hess am Set von

Kann man sagen, dass es ohne Ihre Beharrlichkeit nicht zu einer Verfilmung von Annette Hess’ „Deutsches Haus“ gekommen wäre?

SABINE DE MARDT: Ich war sicher nicht die Erste, die Annette gefragt hat. Aber wir wollten schon seit längerem etwas zusammen machen und für mich war das der ideale Stoff. Annette wollte zunächst nicht, dass ihr Roman verfilmt wird. Ich fand aber das Thema so wichtig. Eine solche Entscheidung ist am Ende immer auch eine emotionale. Ich glaube, es passt auch gut, weil wir nicht nur einen ähnlichen Humor, sondern auch eine ähnliche Ernsthaftigkeit bei der Herangehensweise und Arbeit an Stoffen haben. Das Buch handelt vom ersten Prozess, in dem die Opfer des Holocaust eine Stimme bekommen und der von Deutschen gegen Deutsche angestrengt wurde. Das Schweigen und die Verdrängung dieser Zeit wird in unserer Serie erlebbar, kontrastiert mit den frühen 60er Jahren, in der die Menschen nach vorne schauen und das Wirtschaftswunder genießen wollten. Es geht auch darum, wie versehrt alle Charaktere sind, welche Traumata sie haben. Ich glaube, Annette hat letztlich überzeugt, dass sie diesen Stoff durch eine Verfilmung noch viel mehr Menschen zugänglich machen kann, gerade in Zeiten der steigenden Popularität der AFD, dem Rechtsruck in Europa und auch weltweit.

Der Stoff ist wichtiger denn je.

SABINE DE MARDT: Ja, und auf tragische Art und Weise sehr aktuell. Zu zeigen, wie erdrückend dieses Schweigen war. Und auch heute wird nahezu schweigend hingenommen, dass es in Deutschland wieder einen stark wachsenden Antisemitismus gibt und Gewalt aus Vorurteilen heraus passiert. Ist es nicht schockierend, dass Menschen jüdischen Glaubens wieder Angst haben müssen, ihre Kinder allein zur Schule zu schicken oder öffentlich eine Kippa zu tragen?

Sie haben Annette Hess zur Showrunnerin mit allen kreativen Freiheiten gemacht. Was hat Sie dazu bewogen?

SABINE DE MARDT: Im Seriellen ist es sehr wichtig, der Person, die den besten Überblick über die Kraft und die Vision des Stoffs hat, eine besondere Stellung zu geben. Bei „Deutsches Haus“ ist das eindeutig Annette. Sie war absolut die Richtige diese Verantwortung zu übernehmen. Sie saß quasi auf einem brodelnden Vulkan, sprühte vor Energie. Ich liebe es, jemanden an der Seite zu haben, der diese Energie mitbringt und gleichzeitig die Akribie und auch das Feingefühl besitzt, einen Stoff entsprechend umzusetzen. Sie war immer da, immer offen für Anmerkungen oder Änderungsvorschläge und sie war eine tolle Führungsperson für das gesamte Kreativteam. Das kann nicht jede Autor:in.

Wie würden Sie Ihre Rolle in dieser Konstellation beschreiben?

SABINE DE MARDT: Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich es ermögliche und dabei helfe, die kreative Vision auf den Bildschirm oder die Leinwand zu bringen. Hierfür bedarf es des richtigen Teams und einer Atmosphäre, in der alle Beteiligten die bestmögliche Leistung erbringen können. Annette und ich haben sowohl kreativ als auch in der Umsetzung eng und sehr gut zusammengearbeitet. Das beginnt mit der inhaltlichen Entwicklung und der Auswahl des Kernteams. Dazu gehören die Regisseurinnen Isa Prahl und Randa Chahoud, deren Wahl Annette sofort unterstützt hat und ebenso unsere DOPs und die anderen Head of Departments. Wenn alle inspiriert Hand in Hand arbeiten, ist das das schönste Gefühl überhaupt.

Hatten Sie Disney+ als Partner Nummer eins auf der Liste?

SABINE DE MARDT: Ich hatte mit Benjamina Mirnik-Voges bereits früher zusammengearbeitet und konnte mir vorstellen, dass sie dieser Stoff interessieren würde. Bei der Marke Disney sehe ich relevante Stoffe gut aufgehoben. Wir sahen die Dringlichkeit der Geschichte und wollten das Momentum nutzen und möglichst schnell on air sein. Die Serie hätte natürlich auch als ein öffentlich-rechtliches Format entwickelt werden können. In diesem Fall hätte sich die Realisation aber sehr wahrscheinlich verlängert, weil die Umsetzung eines so hoch budgetierten Projekts nur mit einer komplexen Förderstruktur möglich ist. So war es möglich, das Projekt quasi mit einer Unterschrift zu finanzieren. Außerdem hat Disney+ 150 Millionen Abonnent:innen weltweit. Die ganze Welt erreichen zu können, ist auch ein gutes Argument, das für Disney spricht.

Wiegt das den Malus auf, dass Sie in Deutschland deutlich weniger Menschen erreichen, als im Falle einer Free-TV-Ausstrahlung?

SABINE DE MARDT: Natürlich würden wir uns sehr wünschen, dass die Serie auch noch bei einem öffentlich-rechtlichen Sender gezeigt wird. Wer weiß? Die Streamer werden immer offener und die öffentlich-rechtlichen Sender werden hoffentlich auch auf „Deutsches Haus“ aufmerksam. Unser Ziel ist, dass möglichst viele Menschen diese wichtige Serie sehen. Hierzu gehört auch das richtige Marketing, wofür man den Kolleg:innen bei Disney ein großes Lob aussprechen muss. Das ist hoch professionell. Die Öffentlichkeitsarbeit war top und unsere Premiere hatte ungefähr die Wertigkeit einer Berlinale-Gala-Premiere. Man spürt, wie bei Disney alle hinter der Serie stehen. Auch die internationalen Kolleg:innen. Diese Begeisterung ist sehr motivierend.

Die Serie wurde in Polen gedreht. Hatte das rein inhaltliche Gründe?

SABINE DE MARDT: Nein, es war eine Mischung aus finanziellen und kreativen Gründen. Die historischen Motive waren in Polen viel besser zu finden. Außerdem hatten wir bei „Barbaren II“ schon in Polen gedreht, und weil wir „Deutsches Haus“ sehr schnell auf die Beine gestellt haben, war es hilfreich, dass wir die Kolleg:innen in Polen schon kannten. Abgesehen davon war es eine besondere Erfahrung, dass unser Hauptdrehort in der Nähe von Auschwitz lag. Die meisten Schaupieler:innen waren dort, um alles besser begreifen zu können. Aber de facto fiel die Wahl auf Polen auch deshalb, weil die Umsetzung dort am effektivsten durchführbar war. Es gibt einen Tax Credit, auf den man sich verlassen kann.

Gibt es Gedanken daran, die Serie fortzusetzen?

SABINE DE MARDT: In der Theorie könnte man weitermachen. Wir haben auch schon ein bisschen rumgesponnen, wie das aussehen könnte. Aber eigentlich ist es klar als Miniserie annonciert. Unser Thema, das heißt der Prozess, das Schweigen in Deutschland und wie sich all das auf die verschiedenen Schicksale auswirkte, haben wir erzählt.

Eine zweite Gaumont-Produktion, „Die zweite Welle“ ist gerade in der ZDF-Mediathek angelaufen. Sarah Schnier ist hier als Autorin auch Creative Producerin, kann man das mit der Rolle von Annette Hess bei „Deutsches Haus“ vergleichen?

 

Das vollständige Interview lesen Sie bei:

Das BLICKPUNKT:FILM
Das Interview führte Frank Heine