DWDL | Sabine de MardtUS-Streiks: "Chancen und Risiken" für europäische Produktionen

DWDL Artikel von Thomas Lückerath am 14.07.2023

Die schreibende Zunft streikt seit Monaten, jetzt auch Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Hollywood-Stillstand sorgt für eine Versorgungslücke im globalen Content-Geschäft. Können europäische Kreative und Produktionen davon profitieren? Wir haben uns umgehört.

Noch liegen fertiggestellte Produktionen vor, können also Kinofilme und Serien gestartet werden. Ab Herbst/Winter wird sich der Doppelstreik in Hollywood erst so richtig bemerkbar machen und je nachdem wie lange der Ausstand der Autorinnen und Autoren einerseits sowie Schauspielerinnen und Schauspieler andererseits andauert, wird 2024 ein spezielles Jahr. Und das nicht nur für den US-Markt.

Auch wenn das globale Distributionsgeschäft längst keine Einbahnstraße mehr von Hollywood hinaus in die Welt ist und das Publikum rund um den Globus insbesondere dank internationaler Streamingdienste inzwischen auch spanische, südkoreanische oder mexikanische Serien zu schätzen weiß, so ist und bleibt die Traumfabrik Hollywood für fast alle Märkte am Ende doch der wichtigste Content-Lieferant.

Und 2024 wird weniger kommen als üblich, weit weniger möglicherweise. Auf der Suche nach Alternativen steht daher auch die spannende Frage im Raum: Wer stillt den globalen Hunger von Sendern und Plattformen nach neuen Programmen? Auch wenn den Streikenden in Hollywood aus Deutschland viel Sympathie entgegenschlägt, weil sie für einige Grundsatzfragen einstehen und Klärung verlangen, Stichwort KI, so gibt es auch eine andere Perspektive.

 

Denn zur Wahrheit gehört auch: Der Streik in den USA kann für Kreative in aller Welt eine Chance sein, mit ihrer Arbeit gesehen zu werden. Möglicherweise schmälert der doppelte Ausstand langfristig sogar die Dominanz Hollywoods nachhaltig, wenn die in den vergangenen Jahren schon ausgebaute Akzeptanz von internationalen Produktionen weiter steigt.

Der deutsche Bundesverband Schauspiel hat der US-Schauspielergewerkschaft am Freitag dennoch seine „volle Solidarität“ ausgesprochen. „In der deutschen Branche haben wir dieselben Probleme“, sagte das Vorstandsmitglied Hans-Werner Meyer der dpa. Die Lage sei in der deutschen Schauspielbranche jedoch noch nicht so zugespitzt. Dennoch steige auch in Deutschland die Unzufriedenheit mit den Gehältern, so Meyer. 

Doch wie sehen Produktionshäuser in Deutschland die Situation? „Eine gerechte und faire Entlohnung aller Mitarbeitenden bei Film und Fernsehproduktionen ist wichtig“, sagt Martin Moszkowicz, Vorstandsvorsitzender bei Constantin Film, am Freitag gegenüber DWDL.de. Aber, so Moszkowicz: „Der Doppelstreik kommt zu einer Zeit in der die Branche auf vielen Krisen und Herausforderungen reagieren muss und der Arbeitskampf als letztes Mittel schadet allen Beteiligten und hätte verhindert werden müssen.“ Eine Ansicht, die fast alle angefragten Unternehmen teilen, die sich zum Teil aber nicht öffentlich äußern wollen.

Sabine de Mardt ist seit 1. Juli 2018 Geschäftführerin der Gaumont GmbH. Foto: Frank Dicks

Sabine de Mardt, Geschäftsführerin Gaumont GmbH

Verständnis gibt es bei einem der dem Streik zu Grunde liegenden Themen: Künstliche Intelligenz. „Wir müssen besser verstehen, welchen Einfluss KI auf den Film als Industrie- und Kulturgut haben kann und wir müssen Wege finden, die Leistungen und den Wert der Kreativen vor einem unregulierten Zugriff durch KI zu schützen“, sagt Sabine de Mardt, Geschäftsführerin von Gaumont. „In dieser Hinsicht profitieren wir von dem Streik, der auf die existentielle Bedeutung dieses Themas hinweist und eine hoffentlich produktive Diskussion darüber in Gang setzt.“

Der Streik bringe auch Möglichkeiten mit sich, räumt Constantin-Chef Moszkowicz ein, bleibt aber noch zurückhaltend: „Je nach Länge des Arbeitskampfes ergeben sich für europäische Firmen Chancen und Risiken. Es ist derzeit noch nicht absehbar in welchem Umfang.“ Vorerst bedeute der Doppelstreik schließlich auch in Europa erst einmal hier und da Chaos: „Betroffen sind auch Dreharbeiten mit SAG-Mitgliedern in Europa und die Promotion von Filmen zu ihren Starts in Europa.“ Die „Oppenheimer“-Premiere in London, ausgerechnet gestern Abend parallel zur Entscheidung für einen Streik, war ein Vorgeschmack.

Weil sich Streiks in Hollywood in Monaten und nicht Tagen oder Wochen messen lassen, leitet die deutsche Gaumont-Chefin Sabine de Mardt nach dieser ersten Disruption aber durchaus Chancen ab: „Durch den Streik in den USA rückt Europa automatisch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Inwiefern wir im kommenden Jahr konkret von der Content-Lücke der Streamer profitieren können, hängt in erster Linie von der Kommunikationskultur innerhalb der Plattformen ab. Zudem wird es sicher mehr Chancen für Kofinanzierungen und Lizensierungen europäischer Produktionen geben.“

Auf Letzteres hofft man auch bei Beta Film, dem europäischen Distributions- und Produktionshaus von Jan Mojto, das traditionell auf Kreativität aus aller Welt um Hollywood herum setzt. „Während der Corona-Zeit haben wir gesehen, dass sich im amerikanischen Markt Fenster für europäisches Produkt öffnen, und wir hoffen natürlich auch jetzt, dass sich Möglichkeiten ergeben. Es ist aber derzeit schwierig einzuschätzen, wie lange der Streik anhält und wie die Kundinnen und Kunden auf Content-Engpässe reagieren“, heißt es am Freitag auf DWDL.de-Anfrage bei Beta Film.

Da ist es wieder, dieses Warten. In nichts muss sich die Branche in diesem Sommer so sehr üben, wie im Warten: Das kommerzielle Fernsehen auf eine Erholung der Werbebuchungen und die Produktionslandschaft auf die Auswirkungen dieses historischen Hollywood-Streiks.

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